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TEACCH-Ansatz: Strukturierung und Visualisierung erleichtern den Alltag

Der TEACCH-Ansatz zielt darauf ab, die individuelle Situationen von Mitarbeitenden mit kognitiven Beeinträchtigungen nachhaltig zu verbessern. Das Fachpersonal von Sonnenhalde Tandem ist täglich gefordert, die Prinzipien des Modells kreativ mit allem anderen unter einen Hut zu bringen.

Graziano Stoppini leitet die Beschäftigungsgruppe 1 der Sonnenhalde. Der TEACCH-Ansatz wird in seiner Gruppe aktuell bei ein bis zwei Mitarbeitenden mit kognitiver Beeinträchtigung angewendet. Die grundlegenden Theorien und Anforderungen des Modells sind im Gruppenraum übersichtlich auf zwei Flipcharts dargestellt, damit sie dem Betreuungspersonal täglich ins Bewusstsein gerufen werden. Im Arbeitsraum nebenan beschäftigt sich die Gruppe mit ihren aktuellen Projekten.

TEACCH
Visualisierung mit Piktogrammen

Mehr als ein Modell zur Förderung von Menschen mit Autismus

Die übergeordneten Ziele von TEACCH sind das Erreichen eines Höchstmasses an Selbständigkeit und Lebensqualität für die Mitarbeitenden mit kognitiver Beeinträchtigung, ihre umfassende Förderung sowie das Ansetzen an den individuellen Stärken und Interessen. Ursprünglich für Kinder mit einer Autismus-Spektrum-Störung entwickelt, «ist das Modell», so Stoppini, «ein integratives pädagogisches Rahmenkonzept mit lerntheoretischer Basis ». TEACCH ist vielschichtig und kann punktuell sowie passgenau auf einen Menschen ausgerichtet werden. In der Beschäftigungsgruppe 1 wird für jeden Mitarbeitenden individuell geprüft, welche Prinzipien aus dem TEACCH-Ansatz neben anderen Konzepten wie Kinaesthetics, Snoezelen oder Unterstützter Kommunikation zur Anwendung kommen. Für eine optimale Entfaltung sollte das Programm nicht in der Beschäftigung aufhören, sondern bis in die Wohn- und Freizeitsituation der Mitarbeitenden reichen. TEACCH kann grundsätzlich überall dort zum Einsatz kommen, wo Abläufe und Orientierungshilfen gefragt sind.

Prinzipien der Strukturierung und Visualisierung werden gross geschrieben

Die Prinzipien der Strukturierung und Visualisierung sind zwei wichtige Aspekte aus dem TEACCH-Ansatz. Durch die Strukturierung von Raum, Zeit und Aktivität soll die Umwelt für die Klientinnen und Klienten vorhersehbar und verständlich gemacht werden. Dabei stellen sich aus ihrer Sicht Fragen wie: «Was ist zu tun?» «Wie viel davon? » «Wann bin ich fertig?» «Was kommt danach?» Die Strukturierungshilfen werden in der Regel visuell dargestellt, weil sie – sichtbar – konkret werden und sich auf das Wesentliche beschränken. Sprache hingegen ist weniger verständlich, flüchtig und abstrakt. Auch hier spielen die individuellen Persönlichkeiten und Situationen eine wichtige Rolle. TEACCH bietet kein ausgereiftes Rezept oder Übungsprogramm. Es kommt beispielsweise darauf an, wie gut ein einzelner Mitarbeitender sehen kann, wie ausgeprägt sein Symbolverständnis ist oder ob ein Fall von Legasthenie vorliegt. Die Anwendung muss immer auf den Menschen mit seinen Stärken und Schwächen und auf seine aktuelle Situation abgestimmt werden

Alltag in der Beschäftigungsgruppe 1

Arbeit mit Farbsymbolen führte zur nachhaltigen Beruhigung

Während wir uns im Gruppenraum unterhalten, sortiert S. H., Mitarbeitende der Beschäftigungsgruppe 1, im Nebenraum konzentriert Knöpfe. Dass diese Arbeit heute möglich ist, kann zu einem guten Stück den Strukturierungs- und Visualisierungprinzipien aus dem TEACCH-Ansatz zugeschrieben werden. S. ist eine zurückhaltende Person mit einer kognitiven Beeinträchtigung. Sie kann ihre linke Körperhälfte nicht einsetzen und hat aufgrund ihrer Herkunft aus Somalia eine Sprachbarriere. Wenn sie am Morgen in der Beschäftigungsgruppe ankommt und nicht genau weiss, woran sie arbeiten soll und mit wem, kommt es zu Stress und in der Folge zu einer Kampf-oder-Flucht-Reaktion. Heisst: Sie flieht oder wird auto- bzw. fremdaggressiv. Mit Hilfe der Strukturierungsmassnahmen und einem Visualisierungskonzept mit Farbsymbolen konnte sie stark beruhigt werden und kommt seither unbeschwerter zur Arbeit. Kommt sie heute in die Beschäftigungsgruppe, ist ihr Arbeitsplatz von der Betreuungsperson am selben Ort wie immer eingerichtet. Eine Schale, in der sie ihren Schmuck ablegen kann, steht bereit. Anschliessend beginnt sie Papiermaterialien, Röhrchen oder Sterne gemäss Anleitung der Farbsymbole nach Formen oder Farben zu ordnen. Die Menge, die sie zu bewältigen hat, wird von der Betreuungsperson so festgelegt, dass S. die Arbeit bis zur Pause abgeschlossen hat. Sie hört mit der Arbeit erst dann auf, wenn wirklich alles erledigt ist. Nach der Pause malt, kleistert oder turnt sie mit der Gruppe. Am Nachmittag arbeitet sie wieder bis zur Pause, bevor es abschliessend in die Gruppe zur gemeinsamen Spielrunde geht.

Herausfordernder Alltag für das Personal

Der TEACCH-Ansatz fordert das Personal im täglichen Umgang immer wieder heraus. Die grundlegende Erkenntnis, dass Strukturierung eine Hilfe und keine Einschränkung darstellt, muss als Basis vorhanden sein. Für klare Strukturen ist eine einheitliche und disziplinierte Arbeitsweise notwendig. Aufgrund der individuellen Anforderungen braucht es im Arbeitsalltag auch ein hohes Mass an Kreativität. Hierfür muss oft Bestehendes aufgebrochen und Neues ausprobiert werden. Dies erfordert wiederum die Bereitschaft, Fehler zu machen. Ausgenommen davon sind Bereiche, welche die Sicherheit der Klientinnen und Klienten tangieren.

Interdisziplinäre und übergreifende Zusammenarbeit wird gepflegt

Im Rahmen einer halbtägigen Weiterbildung wird allen neuen Mitarbeitenden das Grundverständnis für TEACCH beigebracht. Fachpersonen Betreuung, Sozialpädagogen oder Arbeitsagogen haben das Modell vielfach bereits im Rahmen ihrer Ausbildung vertieft. Im Alltag wird anschliessend insbesondere die interdisziplinäre und organisationsübergreifende Zusammenarbeit gepflegt und weiterentwickelt, damit wichtige Abläufe ganzheitlich integriert werden können. Dies geschieht beispielsweise im Rahmen der Entwicklungsplanungen und Standortbestimmungen der Mitarbeitenden gemeinsam mit den Wohngruppenleitungen. In dieser guten Zusammenarbeit sieht Stoppini ein grosses Potential, um im Rahmen der Förderung der Autonomie der Mitarbeitenden mit kognitiven Beeinträchtigungen weiterhin Erfolge und Fortschritte.

Das ist TEACCH

TEACCH steht für Treatment and Education of Autistic and related Communication handicapped Children (dt.: Behandlung und pädagogische Förderung autistischer und in ähnlicher Weise kommunikationsbehinderter Kinder). Das Programm ging 1972 aus einem Forschungsprojekt an der Universität von North Carolina in Chapel Hill (USA) hervor, das die aktive Miteinbeziehung der Eltern in die Förderung ihrer autistischen Kinder beabsichtigte.

Das in North Carolina entwickelte pädagogisch- therapeutische Programm hat mittlerweile weltweit Anerkennung und Verbreitung gefunden. Der TEACCH-Ansatz ist in vielen europäischen Schulen, Fördereinrichtungen, Werkstätten und Wohneinrichtungen bekannt. Oft werden Elemente davon praktisch umgesetzt. In ihrer Arbeit orientieren sich die Anwendenden an den Prinzipien des TEACCH-Programms:

  • Verständnis der typischen Schwierigkeiten von Menschen mit Autismus
  • Individuelle Diagnostik und Förderung
  • Kooperation mit Eltern/Familien
  • Optimierung der Fähigkeit, in seiner Lebenswelt zurechtzukommen
  • Ganzheitlichkeit (Förderung sämtlicher Aspekte der Persönlichkeit)
  • Kompetenzorientierung und Respekt vor Andersartigkeit
  • Strukturierung, kognitive Ansätze und Verhaltenstheorie

Quellen:
Degner, M. & Müller, C. M. (Hrsg.). (2008). Autismus. Besonderes Denken – Förderung mit dem TEACCH-Ansatz. Nordhausen: Kleine Wege.
Häusler, A. (2005). Der TEACCH-Ansatz zur Förderung von Menschen mit Autismus: Einführung in Theorie und Praxis. Dortmund: Borgmann Media.